Die Randsportart der Randsportart
Dass der Frauenfootball in Deutschland mehr Aufmerksamkeit und mehr Förderung benötigt, ist wirklich keine bahnbrechende, neue Erkenntnis. Einzelne Landesverbände tun, was ihnen möglich ist, andere weniger, wieder andere kaum etwas. Angesichts der Untätigkeit des Dachverbands in seiner Vorbildfunktion und als Gremium, das die grundlegende Marschrichtung für bundesweite Entwicklungen vorgeben sollte, ist das kein Wunder.
RESTART21 hat mit Spielerinnen, Trainerinnen und im Frauenfootball engagierten Männern und Frauen gesprochen und ihnen vor allem aufmerksam zugehört.
Herauskristallisiert hat sich die traurige Erkenntnis, dass Frauenfootball innerhalb der Randsportart American Football in Deutschland selbst eine Randsportart ist. Obwohl es inzwischen etliche Frauenteams in Deutschland gibt, ist das ungenutzte Potential deutlich größer als bei den Herren oder in der Jugend. Hier gibt es einiges zu tun!
Der Ist-Zustand
Die Krux an der Sache, so wurde es immer wieder hervorgehoben: weil Frauenfootball so wenig organisatorische Unterstützung erhält, dümpelt er vor sich hin. Weil er vor sich hindümpelt, erhält er keine Unterstützung. Als kaum zu durchbrechenden Teufelskreis nehmen das diejenigen wahr, denen Frauenfootball am Herzen liegt.
Engagierte tun, was sie können. Dabei stoßen sie mal mehr, mal weniger auf offene Ohren. Regional ist dadurch unterschiedlich viel möglich. Im Großen und Ganzen wird Frauenfootball jedoch in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, noch nicht einmal innerhalb der eigenen Sportart. Das Resultat: die Teams, so es sie denn gibt, und ihre Vereine bleiben im Schnitt weit unter ihren Möglichkeiten. Dadurch erhalten sie kaum Aufmerksamkeit – was wiederum dazu führt, dass sie als Minderheit nicht angemessen gefördert werden.
National
Es gibt mit DBL und DBL 2 zwei Bundesligen im Frauenfootball. Darunter, regional, im eigenen Bundesland, gibt es außer in Nordrhein-Westfalen keine Möglichkeit eines Ligabetriebs und damit kaum Spielpraxis. Das ist grundsätzlich so, nicht nur in Pandemiezeiten.
International
Es gab in der Vergangenheit erfolgreiche Europa- und Weltmeisterschaften und – nachdem IFAF und AFVD sich unter welchen Konditionen auch immer wieder geeinigt haben – wird sie hoffentlich in Zukunft auch wieder geben. Die Teilnahme war in der Vergangenheit leider nur denjenigen Spielerinnen möglich, die es sich finanziell leisten konnten, die eigene An- und Rückreise sowie einen Beitrag zur Unterbringung zu zahlen.
Damit tritt Deutschland auf solchen Turnieren auf wie ein Entwicklungsland, was in keinster Weise den sportlich möglichen Leistungen entspricht. Ein Armutszeugnis für einen Dachverband, der international sonst gern mit stolzgeschwellter Männerbrust Reden schwingt.
Ja, wir wissen, dass der AFVD am 1. Oktober 2020 eine Pressemitteilung mit dem Titel Expertenkommission Frauen-Football eingesetzt – strukturelle Hilfe und Arbeitserleichterung für Vereine als Ziel veröffentlicht hat. Danach und bis heute hörte man von dieser Expertenkommission leider nichts mehr.
Die Wünsche unserer Gesprächspartner: innen
Die folgenden Ideen und Vorschläge haben wir aus unseren Gesprächen mitgenommen und halten sie für mehrheitlich zügig realisierbar, mindestens jedoch für diskutabel. Sie werden sich in Kürze auch in unserem Programm wiederfinden.
Den Frauen Mitbestimmung und eine Stimme geben: Sowohl im AFVD als auch in jedem Landesverband soll es eine Vertreterin/Sprecherin des Frauenfootballs geben, die von den Verbänden auch gehört und unterstützt wird. Die Frauen, die sich dafür bereit erklären, wollen keine Alibifunktion ausüben. Sie möchten sich aktiv einsetzen. Die Vertreterinnen der Landesverbände sowie die Vertreterin im AFVD sollen sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch treffen und ihre jeweiligen Präsidien beraten.
Mehr Camps: Durch Camps für alle Spielerinnen, Specialcamps und Skill Camps mit gut qualifizierten Coaches (bundesweit und auf Landesverbandsebene) können sich die Spielerinnen verbessern. In den Vereinen ist das oft schwierig, da die Teams zu klein sind und ihnen auch nicht unbedingt genügend qualifizierte Trainer: innen zur Verfügung stehen.
Mehr Trainerinnen: Es soll vermehrte Walk on Angebote speziell für Frauen geben, damit sich mehr von ihnen für eine Trainerausbildung entscheiden.
Bessere Trainer:innen-Ausbildung: Es kommt leider nicht selten vor, dass Coaches mit Frauenfootball weniger Erfahrung haben als die Spielerinnen. Das muss nicht zwingend, kann aber oft ein Nachteil sein. Das Coaching einer Jugend- oder Herrenmannschaft lässt sich nicht 1:1 auf ein Frauenteam übertragen. Wünschenswert wäre daher ein Modul innerhalb der Trainer:innen-Ausbildung, das sich speziell mit Frauenfootball beschäftigt.
Organisatorische Hürden abbauen: Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber es mangelt auch hier: Räumlichkeiten und Material zur Weiterbildung sollen zur Verfügung gestellt werden. Wo der örtliche Verein es nicht kann, soll dies der jeweilige Landes- und natürlich auch der Dachverband analog zu anderen Bereichen im Football übernehmen.
Hilfe bei Neugründungen: das Interesse am Frauenfootball ist da. Für die Teamgründungen soll es auf Landes- und Dachverbandsebene mehr Förderung und Unterstützung für die Teams und ihre Vereine geben.
Schulflagprogramme auch für Frauenfootball nutzen: Ohnehin auf unserer Agenda stehen die Förderung und Ausweitung von Schul-Flag-Football im normalen Sportunterricht oder als Arbeitsgemeinschaft an Schulen. Flag geht schon in der Grundschule und ist grundsätzlich als mixed Sportart spielbar. In den unteren Klassen gibt es oft noch keinen nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht; in den oberen Klassen sollte man nicht vergessen, auch für die Mädchen Flag anzubieten.
Anpassung der Regularien für die DBL und DBL2: bevor Frauenfootball nicht organisatorisch das gleiche Level erreicht hat, können die für die GFL der Herren geltenden Regeln nicht grundsätzlich analog angewendet werden. Bestimmte Bereiche müssen gesondert geregelt und angepasst werden. Beispiele hierfür sind:
- Keine Pflicht zum Aufstieg bei ausreichender Begründung (z.B. Spieler- oder Geldmangel). Die bisher angesetzten Strafen sind deutlich zu hoch.
- Die Regelungen für Freundschaftsspiele im Ausland oder mit ausländischen Teams in Deutschland sollen angepasst werden, um Spiele zu erleichtern.
- Regelungen für einzelne Spielerinnen im Ausland müssen ebenfalls er- und überarbeitet werden.
Ladiesbowl: Die Anforderungen für die Austragung des Ladies-Bowls sollen erleichtert werden. Denkbar ist außerdem ein fester Austragungsort oder der Wechsel des Austragungsorts zwischen den einzelnen Bundesländern in einem festgelegten Turnus.
Ein Herzenswunsch all unserer Gesprächspartner:innen ist die Übertragung des Ladiesbowl in einem landesweit zu sehenden Livestream mit guter technischer und moderativer Qualität, alternativ eine Fernsehausstrahlung.
Regelmäßige Damenländerturniere: Analog zum Jugendländerturnier soll jährlich ein Damenländerturnier mit Auswahlmannschaften der Landesverbände stattfinden. Aus den Teilnehmerinnen soll die Damen-Nationalmannschaft rekrutiert werden.
Damen-Nationalmannschaft unterstützen: eine bessere Förderung der Spielerinnen, die international ihr Land repräsentieren, ist unbedingt notwendig, damit die besten spielen, nicht nur diejenigen, die sich eine Teilnahme finanziell erlauben können.
Richtlinien und Ansprechpartner: innen im Falle sexueller Belästigung festlegen: Das ist leider auch im Frauenfootball ein immer wiederkehrendes Thema. Noch einmal besondere Aufmerksamkeit verdient es, weil aus der Jugend bereits Spielerinnen ab 15 Jahren in die Damenteams aufsteigen. Für sexuelle Übergriffe gibt es keine Grauzone, keine Entschuldigung und keine Toleranz. Jede Spielerin muss wissen, an wen sie sich gegebenenfalls im Team, Verein, Landesverband, Dachverband sofort wenden kann und unbedingt soll. Hier sind klare und eindeutige Regeln aufzustellen und immer wieder zu kommunizieren. Auch darüber, wie die Betreuung der betroffenen Personen erfolgt, was wie mit wem kommuniziert und wie der Tatbestand weiterverfolgt wird.
Überarbeitung der Webseite ladiesbowl.de: Die Informationen auf dieser Webseite sind veraltet. Teilweise werden lediglich Inhalte der AFVD-Webseite eingespiegelt, die nur in wenigen Fällen spezifisch oder wichtig für den Frauenfootball sind. Die grundsätzliche, inhaltliche Konzeption der Webseite sollte in den Aufgabenbereich der Vertreterin im AFVD fallen. Manche unserer Gesprächspartnerinnen haben uns übrigens gefragt, warum diese Webseite pink sein muss und ob man über diese farbliche Geschlechterfestlegung nicht bereits seit Jahren hinaus wäre. Die Frage konnten wir nicht beantworten, aber angesichts der ohnehin notwendigen Neugestaltung sollte es kein Problem sein, ein passendes Design zu finden, mit dem sich die Spielerinnen identifizieren können.
Übrigens: auf der Webseite des AFVD findet Frauenfootball so gut wie nicht statt. Es gibt zwar eine eigene Kategorie dafür, die sieht Stand gestern allerdings so aus:
Gibt man den Begriff “Frauenfootball” in die Suche der Webseite ein, wird es auch nicht viel besser:
Völlig veraltet, noch nicht einmal die oben zitierte Meldung zur Gründung der “Expertenkommission” wird angezeigt. Das ist nur eines der Beispiele dafür, dass es ganz grundsätzlich mit der Haltung und Einstellung zum Frauenfootball nicht stimmt im Dachverband. Mit mehr Einsatz, mehr Herzblut und mehr Engagement wäre hier alleine in der Außenwirkung viel mehr möglich.
Interessante Ideen
Die meisten der oben genannten Punkte sind nach unserer Meinung zeitnah umsetzbar. Sie finden deshalb so wie beschrieben Aufnahme in unser Programm.
Darüber hinaus sind weitere Ideen und Anregungen an uns herangetragen worden, die wir gerne zur Diskussion stellen. Es sind erste Überlegungen, die noch nicht zu Ende gedacht und auch noch nicht auf ihre Umsetzbarkeit hin geprüft sind.
Bonusprogramm für Vereine
Um die Gründung von Damenteams interessanter und erfolgreicher zu machen, könnten Vereine einen Bonus für erfolgreiche Arbeit im Frauenfootball erhalten. So wäre z.B. denkbar, Vereinen eine Vergünstigung für Lizenzgebühren ihrer (Herren-)Mannschaften einzuräumen.
Sponsoring / Marketing speziell für Frauenfootball
Es gibt Beispiele für Sponsoringprogramme oder zeitlich begrenzte Kampagnen großer Unternehmen für die Förderung von Frauen im Sport. Bisher hat der AFVD dieses Potential nicht beachtet. Eingängig ist auch die Überlegung, dass je nach Branche und Produkt oder Dienstleistung bestimmte Firmen eher der finanziellen Förderung von Frauenfootball gegenüber offen sind als z.B. einer generellen Marketingkooperation mit dem AFVD für den gesamten Football in Deutschland. Hier eröffnet sich ein weites Feld an Möglichkeiten, das gezielt angegangen werden muss.
Hilfe und Unterstützung direkt erhalten
Unabhängig von unserer Konzeption ist für Engagierte natürlich auch jetzt bereits einiges möglich. Der Landesverband NRW hat in der Entwicklung des Frauenfootballs bundesweit eine Vorreiterrolle. Dankenswerterweise ist er bereit, andere Landesverbände mit Rat und Tat in diesem Bereich zu unterstützen sowie Wissen und Erfahrung weiterzugeben, falls das gewünscht ist.